Bundesgerichtshof
Mitteilung der Pressestelle
Nr. 29/2002
Rechtliche Behandlung von Inline-Skates im Straßenverkehr
Der unter anderem für das Verkehrsunfallrecht zuständige VI. Zivilsenat des
Bundesgerichtshofs hatte sich mit der rechtlichen Einordnung von Inline-Skates im Straßenverkehr
zu befassen. Im zugrundeliegenden Fall machte die Klägerin Schadensersatzansprüche
aus einem Verkehrsunfall geltend, bei dem sie auf einer Straße im außerörtlichen
Bereich auf Inline-Skates in einer langgezogenen Linkskurve mit dem ihr auf einem bei
der Beklagten zu 1 haftpflichtversicherten Motorroller entgegenkommenden Beklagten
zu 2 zusammenstieß und sich schwere Verletzungen zuzog. Die Straße ist
dort knapp fünf Meter breit und hat keinen Rad- oder Fußgängerweg.
Der linke Fahrbahnrand wies zur Unfallzeit zahlreiche Unebenheiten auf. Die zulässige
Höchstgeschwindigkeit an der Unfallstelle betrug 30 km/h.
Die Klägerin hat behauptet, sie sei nach Passieren des Ortsausgangsschildes sofort
in einem Bogen auf die - von ihr aus gesehen - linke Fahrbahnhälfte gefahren und
habe sich dann in deren Mitte weiterbewegt.
Das Berufungsgericht hat einen Anspruch der Klägerin auf Ersatz ihres materiellen
Schadens aus § 7 Abs. 1 StVG dem Grunde nach nur zu 40% für gerechtfertigt
erklärt und die Klage im übrigen wegen Mitverschuldens der Klägerin
abgewiesen. Es hat unter anderem die Auffassung vertreten, der Klägerin sei zur
Last zu legen, daß sie nicht - wie es § 2 Abs. 1 und 2 StVO für Fahrzeuge
vorschreibe - die rechte Fahrbahn benutzt habe. Hierzu sei sie verpflichtet gewesen,
weil Inline-Skates als Fahrzeuge und nicht als "ähnliche Fortbewegungsmittel"
nach § 24 Abs. 1 StVO in Verbindung mit § 25 StVO nach den für Fußgänger
geltenden Regeln zu behandeln seien.
Der BGH hat die angefochtene Entscheidung im Endergebnis bestätigt. Er hat sich
dabei jedoch der Auffassung des Berufungsgerichts über die rechtliche Einordnung
der Inline-Skates nicht angeschlossen. Nach der Auffassung des BGH sind Inline-Skates
keine Fahrzeuge im Sinne der Straßenverkehrsordnung, sondern als ähnliche
Fortbewegungsmittel im Sinne von § 24 Abs. 1 StVO zu behandeln. Sie entsprechen
allerdings nicht in jeder Hinsicht den dort ausdrücklich aufgezählten oder
herkömmlicher Weise hierzu gerechneten "ähnlichen Fortbewegungsmitteln".
Sie haben zwar auch nur ein geringes Eigengewicht und sind üblicherweise nicht
mit Beleuchtungen und mehrfachen Bremssystemen ausgestattet. Inline-Skater können
jedoch die Geschwindigkeit von Fahrradfahrern erreichen und sind damit deutlich schneller
als Fußgänger, wobei - in starkem Maße abhängig vom Können
- die Bremswege erheblich länger sind als bei Fahrrädern. Eine Regelung durch
den Gesetzgeber wäre deshalb wünschenswert.
Bis zu einer ausdrücklichen Regelung muß die Einordnung der Inline-Skates
nach geltendem Recht so erfolgen, daß eine möglichst geringe gegenseitige
Gefährdung oder Behinderung aller Verkehrsteilnehmer gewährleistet ist. Durch
die Einordnung der Inline-Skates in § 24 StVO kann den für Inline-Skater
bestehenden und von ihnen ausgehenden Gefahren derzeit noch am ehesten begegnet werden.
Dies entspricht auch den Ergebnissen des Abschlußberichts eines vom Bundesministerium
für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen in Auftrag gegebenen Forschungsprojektes "Nutzung
von Inline-Skates im Straßenverkehr", in dem hervorgehoben worden ist, daß
Inline-Skater auf der Fahrbahn mit der derzeitigen technischen Ausrüstung stärker
gefährdet sind als im Seitenraum einer Straße und die Verträglichkeit
mit dem Fahrradverkehr geringer ist als die mit dem Fußgängerverkehr. Dies
spricht entscheidend dagegen, sie durch eine rechtliche Einordnung als Fahrzeuge grundsätzlich
zur Benutzung der Fahrbahn zu verpflichten, was aufgrund des im Vergleich zu Radfahrern
größeren Breitenbedarfs, der (etwas) geringeren Durchschnittsgeschwindigkeit
und des längeren Bremsweges der Inline-Skater zu größeren Behinderungen
und Gefährdungen des Fahrzeugverkehrs und ihrer selbst führen könnte.
Demgegenüber zeigt die bisherige Erfahrung, daß Inline-Skater durch Anpassung
ihrer Geschwindigkeit an die jeweilige konkrete Situation und an ihr Fahrkönnen
die entsprechenden Wege mangels derzeit bestehender sinnvoller Alternativen gemeinsam
mit Fußgängern nutzen können.
Selbst wenn mithin Inline-Skates nicht als Fahrzeuge zu behandeln sind, hielt das Berufungsurteil
den Angriffen der Revision im Ergebnis stand. Nach den Feststellungen des Berufungsgerichts
wies im vorliegenden Fall der linke Fahrbahnrand zur Unfallzeit zahlreiche Unebenheiten
auf. Nach ihrem eigenen Sachvortrag fuhr die Klägerin denn auch tatsächlich
nicht am linken Fahrbahnrand, wie es grundsätzlich für Fußgänger
vorgeschrieben ist, sondern mitten auf der Fahrbahn des Gegenverkehrs. Das aber war
ihr schon im Hinblick auf ihre Pflichten aus § 1 Abs. 2 StVO gegenüber den
ihr entgegenkommenden Fahrzeugen keinesfalls gestattet. Vielmehr wäre sie - wenn
sie auf ein Skaten an der Unfallörtlichkeit nicht gänzlich verzichten wollte
- unter den hier gegebenen Umständen jedenfalls gehalten gewesen, die rechte Fahrbahnseite
zu benutzen. Da sie dies nicht beachtet hat, mußte sie sich ein Mitverschulden
anrechnen lassen, dessen Bemessung durch das Berufungsgericht keine Rechtsfehler erkennen
ließ.
Urteil vom 19. März 2002 - VI ZR 333/00
Karlsruhe, den 19. März 2002
Pressestelle des Bundesgerichtshofs |